Ironie der Gewissheit
- ak-lorenz
- Apr 5, 2024
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Updated: Nov 15, 2024
Einige erinnern sich wohl wehmütig ‒ es gab diese Jahre der Ironie um die letzte Jahrtausendwende. Die Harald Schmidt Show, die Wochenschau oder Raabs TV Total ‒ die neue Comedy spiegelte die Wirklichkeit so lange und so schier unverblümt, dass sie in diesem Hin- und Her einem einfach alles ein wenig vom Hals hielt. Auf den Arm genommen nimmt sich Wichtiges eben leichter oder lässt sich gleich als Ganzes abtun, das verkehrt Gespiegelte muss nur bis aufs Letzte verteidigt werden gegen den Ernst der Wirklichkeit.
In der Art, das Gegenteil des Gesagten zu meinen, hat Ironie aber viel Spiel. Noch mehr als sonst macht dabei der Ton alles. Er bestimmt, schon durch Stimmlage und kleine Sprachpartikelchen wie „ja“ und „bloß”, die nur Arglose oder Textprogramme als nutzlose Füllwörter abtun, wie weit das ironisch Gewendete aus- und zurückschwingt.
Dann ist da natürlich noch die behäbige Sokratische Ironie, die spielerische Romantische und die Brechtsche und so weiter. Die der späten 1990er mag den fetten Jahren geschuldet sein. Ohne wirklich auf existentielle Widerstände zu treffen, verlor sich ihre Spur häufig in den unendlichen Weiten einer absolut gesetzten Oberfläche. Ihr Publikum wurde zum Kronzeugen eines Schlagabtauschs, in dem sich Echt und Unecht gegenseitig das Wort gaben, nichts Substanzielles zwischen sich zu dulden ‒ die „Tristesse Royale“ lässt grüßen.
Wo Platons Sokrates sich als Hebamme der Wahrheit nicht nur sehenden Auges die Finger verbrannt hatte, die RomantikerInnen wie Schlegel und Co. vor Begrenzungen in die unendliche Reflexion flüchteten und die Postmoderne die Autorität der Sprache gegen sich selbst zu wenden versuchte, verdammte die Ironie um das neue Jahrtausend herum scheinbar zur selbstgefälligen Untätigkeit. Mit Wehmut beklagten wiederum kritische Stimmen, dass die Ernsthaftikgeit der Ironie früherer Tage, in denen es noch die klar abgesteckten Reibungsflächen großer politischer Systeme gab, im lustvollen Dauerrelativieren auf eine narzistische Nabelschau hinausliefe.
Heute scheint relativieren wieder tabu und und die ungebrochene Ernsthaftigkeit zurück. Die vor längerem ausgerufene Postironie betont die Unfehlbarkeit der Gefühle, sie will ein Gegenmittel gegen die postmoderne Spöttelei auf den Markt bringen, ohne dass der Wirkmechanismus feststünde. Das Problem der richtigen Dosis, um weder in naiver Humorlosigkeit noch in ironischer Verstellung zu verharren, bleibt bestehen.
Das Bemerkenswerte daran ist aber vielleicht die historische Dialektik der Ironie. Während die Spaßmachgeneration des ausgehenden Jahrtausends die Ironie auf die die Spitze totalen Gleichmuts trieb, machten die Geisteswissenschaften Ernst. Ihre Distanz zum emotionalen Geschehen schafften sie sich durchs Andienen naturwissenschaftlicher Beschreibungspraxis. Ihr altbekanntes Interesse an Mehrdeutigkeiten und Paradoxien, die sie bis dahin in der Sprache hochgehalten hatten, schnurrte plötzlich zusammen auf einen Erregungszustand, der sich als Neuronenspur durchs Gehirn abbilden ließ und keine Zweifel mehr zeigte. Die besonders eifrigen Geister der Kultur entzückten sich so an den neuen Bildern, die die kognitiven Neurowissenschaften vom Denken hervorbrachten, dass sie sich in gut finanzierten Kooperationsprojekten bald selbst an den Rand des Ruins brachten. Zu verlockend die Aussicht, der Wahrheit, Lüge und Ironie ein für alle mal auf die Schliche zu kommen.
Wann genau, frage ich mich, schlug es wieder um? Seit wann ist es en vogue, sich im Gefühlten wie in einem Kokon einzurichten, den selbst die feinste Ironie kaum noch zu durchdringen vermag? Wieso muss alles bis auf die letzte Regung save sein? Die Frage ist echt und keinesfalls ironisch, hämisch oder zynisch gemeint.
Literatur:
Abbt, Christine: Sokratische oder restaurative Ironie? Zur unterschiedlichen politischen Absicht ironischer Varianten. In: Lubkoll, C.; Illi, M.; Hampel, A. (Hg.), Politische Literatur. Begriffe, Debatten, Aktualität. Stuttgart: Springer, 2018, S.401‒419.
Booth, Wayne C.: A Rhetoric of Irony. Chicago: University of Chicago Press, 1975.
Com&Com: First Postironic Manifesto, 2009, http://www.postirony.com/.
Hedinger, Johannes M.: POSTIRONIE. Zur Kunst nach der Ironie. In: Hedinger, J.; Meyer, T. (Hg.), What’s next? Kunst nach der Krise. Berlin: Kadmos, 2013, S. 293.
Rauen, Christoph: Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000.(Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 123) Berlin/New York: De Gruyter, 2010.
Rorty, Richard: Contingency, Irony, and Solidarity. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1989.
Shakar, Alex: The Savage Girl. New York: Harper, 2001.

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