Wo ich herkam
- ak-lorenz
- Nov 15, 2024
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Wo ich herkam, war das Land. Wer nicht von dort kam, machte sich verdächtig, weil er nicht vom Nachbarn kam, mit dem ausgeliehenen Hochdruckreiniger unterm Arm, und nicht von der Dorfkneipe und einen sitzen hatte. So einen fragte man besser nicht, woher er kam, weil klar war, dass er aus einem der weißen Container kommen musste, die die Gemeinde am Rand des Neubaugebiets aufgestellt hatte, um Menschen zu helfen. Derzeit waren es die aus der Ukraine und die hatten nur mittwochabends Stammtisch im Aufenthaltsraum des Gemeindezentrums.
Noch verdächtiger machte sich einer, der nicht von wo kam. Der einfach nur da saß und nicht weniger als sein Hab und Gut unterm Arm hatte. So einer stand und spazierte nicht, er wartete ab und trieb sich rum. Da war es schon besser, man hatte ein Ziel. Das verstand sich schon von selbst und wohl kaum einer kam auf die Idee, zu fragen, wohin gehst du?, wo doch klar war, wohin es eigentlich ging. Außer natürlich, dass Ferienzeit war, dann ging es in den Skiurlaub oder an die See oder ins Phantasialand.
Schließlich hatte jeder sonst sein Ziel vor Augen, denn der nächste Urlaub kam bestimmt, die nächste PlayStation kam raus oder das Auto ging kaputt. Dafür hieß es nun, einen Zahn zuzulegen und den Gürtel enger schnallen, abends mal nur zwei Bierchen zischen statt drei und zu Omas Geburtstagsbrunch in der Krone musste auch nicht das ganze Dorf eingeladen werden.
Gut, es gehörte sich nicht, die Wesslers aus dem Grubenweg nicht dabei zu haben, wo doch der alte Wessler ein Großcousin der Oma war, aber erkennen tat sie ihn sowieso nicht mehr und es passten ja schlecht alle an einen Tisch. Außerdem war er immer dabei, wenn der Obst- und Gartenbauverein die Vorstandssitzungen bei ihnen im Hobbyraum ausklingen ließ. Das musste reichen.
Nicht, dass man gern mal woanders hinkäme, so wie die Lawalls, die letztes Jahr in Amerika waren. Drei Wochen sind sie mit einem Wohnmobil unterwegs gewesen und haben Las Vegas und die Niagarafälle gesehen. Aber die hatten auch ein Häuschen in der Toskana, wo sie immer im Sommer hinfuhren, und überhaupt kam er ja viel rum als Vertriebler und mit dem Golf, aber einen festen Ort brauchte jeder. Sie würden aus Köln kommen, sagten sie, wenn sie da unten waren, sagte der junge Eifler, der mal mit war, so genau muss man es auch nicht nehmen, was macht das schon für einen Unterschied, ob Köln oder Umkreis oder knapp daneben. Hauptsache, man weiß, woher man kommt.
Und so wie die Ukrainer bald im Gemeindehaus ihren angestammten Platz hatten, gab es keinen im Ort, dem nicht klar war, wo er hingehörte. Undenkbar, dass jemand nach Amerika fuhr, am Ende noch mit einem gigantischen Auto voller Gepäck, fast einem ganzen Hausstand, und der sich nicht freute, wenn Einheimische fragten, woher er kam. Die Lawalls hatten sogar welche aus Frankfurt getroffen, die einen kannten, der mal mit ihnen im Golfressort war. Sehr von Welt sei es dort zugegangen, hatte sich der Lawall erinnert, bis hin zum Personal. Sehr gut sei das Essen und aufmerksam der Service gewesen, die Hotelbar ein echter Hingucker. Und wer weiß schon, warum eine von denen eingeschnappt war, als man sie fragte, woher sie kam, wo sie doch den ganzen Abend ordentlich Cocktails bestellt hatten.
Blieben noch die, die wieder zurückkamen. Ungefragt mussten sie einem auf die Nase binden, wo sie überall gewesen waren. Als ob das interessieren würde, warum waren sie sonst zurückgekommen. Es war jawohl kein Geheimnis, woher sie eigentlich kamen. Und wer war schon so verrückt, irgendwo hinzugehen, wo niemand herkam?

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