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Wie baue ich einen Text oder Die Kunst der Argumentation

Eine Textanleitung


Zu reden, ohne dass etwas zu sagen wäre, ist wahrscheinlich eine der leichteren Übungen. Unzählige Meetings, die länger gehen, als sie müssten, zeugen davon. Zu Wort kommen hier vor allem diejenigen, die das Sagen haben. Unendliche Monologe vor erzwungenem Publikum stehen genau hierfür. Zu schreiben, ohne etwas zu sagen zu haben, ist dann schon schwieriger, weil es Text allein einem nicht leicht macht, eine gelangweilte Leserschaft in Zaum zu halten. Sie kann sich jeder Einflussnahme einfach unbemerkt entziehen, weil die Kontrollinstanz fern und das Lesen generell anstregend ist. Aber ganz gleich, ob schreibend oder redend, wirklich etwas zu sagen, bleibt die Herausforderung schlechthin: Wie sage ich was um seiner selbst willen? Und wie schaffe, ich es, dass andere meinen Worten tatsächlich folgen, aus reinem Interesse und ohne äußeren Zwang?


Die Angemessenheit des Textinneren

In der Rhetorik wird unter dem Kriterium der Angemessenheit an dieser Stelle alles zusammengefasst, was einen Text, seinen Inhalt und seine Form passgenau auf seine angestrebte Wahrnehmung in einer bestimmten Situation ausrichtet. Gemeint sind einerseits die vielen äußeren Faktoren wie Wissenstand, Wertvorstellungen und Erwartungshaltung der Leserschaft, ihre Verortung in einem zeitlichen, kulturellen und institutionellen Rahmen usw. Wenn ich aber die vielen situationsbedingten Bedingungen einmal außer acht lasse, bleiben andererseits, nämlich auf Seite der Textproduktion einige allgemeine Regeln der Angemessenheit, die mir inhaltlich beim argumentativen Aufbau eines in sich stimmigen Textganzen helfen können.


Am Anfang klotzen

Ein guter Anfang ist eine Sache für sich. Wie ich ihn für meinen Text finde, ebenso wie gute Themen und Argumente, lässt sich in der Textanleitung „Am Anfang war das Wort – aber welches?” nachlesen. Ist der Einstieg geschafft, geht es vor allem darum, die Reihenfolge der einzelnen Aussagen festzulegen, Argumente aufeinander aufzubauen und den Inhalt so in eine überzeugende Struktur zu bringen. Dabei hilft es, sich zunächst die durchschnittliche Aufmerksamtkeitskurve vor Augen zu halten. Zu Beginn ist die normalerweise noch recht hoch, sinkt dann aber meist nach einiger Zeit ab, bevor in Erwartung eines baldigen Endes kurz die letzten Reserven an Konzentration zusammengenommen werden.

Es spricht also einiges dafür, gleich zu Beginn zu klotzen und ein schönes Motiv oder starkes Argument als Erstes zu wählen. Hier ist ein wenig Mut zur Irritation gefragt. Der Philosoph Arthur Schopenhauer rät sogar, beim Mangel an Argumenten kurzerhand zu beleidigen, denn: „Eine Grobheit besiegt jedes Argument”. Die pure Provokation muss es nicht gleich sein, aber natürlich folge ich aufmerksamer, wenn statt der gängigen Begründung eine um die Ecke kommt, die mich, bestenfalls in aller Einfachheit, überrascht. Muss es an dieser Stelle doch ein weitverbreitetes Argument sein, weil es nun mal Wesentliches zur Sache tut, kann ein ausgefallener sprachlicher Ausdruck, eine unverbrauchte Metapher oder ein ungewöhnlicher Vergleich viel wettmachen. Andernfalls bleibt immer noch die Flucht nach vorne: Ich kündige das Argument als das Offensichtliche überhaupt an, als so normal, dass es eben nie wirklich bedacht wird.


Steigerung und Schluss

Um die ganze Aufmerksamkeitsspanne auszureizen, ist es aber ratsam, ein Ass im Ärmel zu behalten: Das Beste sollte am Ende stehen, wo es einen guten Nachhall erzeugt und zum Nach- und Weiterdenken anregt. Das schlagkräftigste aller Argumente hebe ich mir deshalb für den Schluss auf, und zwar nicht ohne gewissenhaft daraufhin zu arbeiten. Wie ein Crescendo steigere ich meine gesamte Argumentation, setze nach dem Auftakt, der das Publikum mit dem zweitbesten oder jedenfalls einem starken Argument in den Bann zieht, erneut an, beginne im Hauptteil mit dem schwächsten Argument und legen dann mit jedem folgenden immer eins drauf, um am Ende mit der überzeugendsten Begründung abzuschließen. Je nach dem, wie sehr ich auf den Effekt ziele, kann ich diesen Höhepunkt in meiner Argumentation mehr oder weniger explizit ankündigen und mein Publikum dadurch vorbereiten, dass ich alle bisherigen Begründungen nochmal in aller Kürze zusammenfasse.

Gerade bei argumentativen Texten ist es wichtig, dass er inhaltlich nicht zu überladen wirkt oder an den Rändern ausfranst. Dazu stelle ich mir einen Rahmen um den Text vor, der dafür sorgt, dass alles schön am Platz bleibt und einen akkuraten Abschluss erhält. Die mit dem Rahmen verbundene Vorstellung sorgt auch dafür, dass ich nicht wahllos Argumente und Begründungen aneinanderreihe, die sich letztlich gegenseitig in ihrer Schlagkraft relativieren und die Steigerung verlangsamen. Besser sind wenige stichhaltige Argumente, die umso prägnanter formuliert sind und sich klar voneinander abgrenzen lassen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich die Argumente zusammenhanglos zusammenfüge. Der letzte Tipp betrifft deshalb die Verbindungsstellen zwischen den Argumenten.


Übergänge und Abgrenzungen

Vor allem wenn ich mit KI-Tools wie ChatGPT arbeite, ist es für ein gutes Textverständnis wichtig, überzeugende Übergänge zwischen den einzelnen Textteilen, den Argumenten und Begründungen zu schaffen. Häufig sind beim Einsatz von KI immer noch viele unspezifische Satzanfänge à la „In diesem Zusammenhang…” zu lesen, die einen völlig austauschbaren Bezug zum jeweils vorherigen Satz aufweisen. Solche unverbindlichen Zusammenhänge sind nicht nur wenig aufschlussreich, sondern auch langweilig, wenn sie nicht weiter in ihrer Besonderheit charakterisiert werden. Stehen diese belanglosen Zusammenhänge dann auch noch neben Textinhalten, die ein völlig neues Argument einführen, ohne es als neuen Gedankengang zu markieren, wird die gesamte Argumentation noch unübersichtlicher. Besser ist an dieser Stelle, das neue Argument, das einen ganz andersgelagerten Aspekt der Sache aufgreift und nicht in direktem Bezug zum vorangegangenen Argument steht, auch als solches zu benennen und einen klaren Schnitt zwischen beiden Argumenten zu machen.


Der innere Zwang

Dass sich das bessere Argument durchsetzt, gehört zu den Idealen einer Gesprächsführung, die der betagte Gegenwartsphilosoph Jürgen Habermas in seiner Diskursethik den „zwanglosen Zwang” nennt. Dass das bessere Argument auch wirklich zieht und allein der Vernunft verpflichtet ist, stellen die vielen Gewaltkämpfe, die Beleidigungen und öffentliche Schmähreden aber immer schon in Frage und deshalb hilft dagegen wohl nur, wenigstens bei den eigenen Texten anzufangen. Die eigenen Emotionen können zwar auch beim Texte schreiben nicht außer außer gelassen werden, sie können aber den geeigneten Auftrieb geben, wenn es darum geht, eine Art inneren Zwang zum besseren Argument zu entwickeln. Wort für Wort schön durchleuchtet ergeben sie dann häufig gar keine so schlechten Begründungen.

Überzeugend zu argumentieren ist etwas, was gerade dann verloren zu gehen scheint, wenn der äußere Zwang zunimmt. Umso wichtiger ist es, die Selbstachtung wieder aus der Kunst des Argumentierens zu ziehen, weil ohne diesen „zwanglosen Zwang” kaum noch kritischer Gegenwind zu erwarten ist, mit dem sich eine Sache wirklich verbessern lässt. Und das ist vielleicht das beste Argument, das sich am Gegenstand interessierte Personen in Machtpositionen vor Augen halten können. Ansonsten bleibt ja auch für Vorgesetzte noch das therapeutische Gespräch.


Literatur:

Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. (Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft). Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981.

Herrmann, Markus; Hoppmann, Michael; Stölzgen, Karsten; Taraman, Jasmin: Schlüsselkompetenz Argumentation. 2. akt. Aufl. Paderborn: Schöningh, 2012.

Honneth, Axel; Joas, Hans (Hrsg.): Kommunikatives Handeln. Beiträge zu Jürgen Habermas’ „Theorie des kommunikativen Handelns”. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1996.

Poggemann, Malin: Argumentation schreiben: Aufbau, 6 Schritte + Beispieltext. In: schreiben.net, https://www.schreiben.net/artikel/argumentation-4652/

Philipp, Jeannette; Stadler, Christian: Wie verhandle ich? Fallanalyse, Grundlagen, Übungen. Zürich: vdf Hochschulverlag AG, 2014.

Schopenhauer, Arthur: Die Kunst zu beleidigen. Hrsg. von Franco Volpi. 4. Aufl. München: C.H. Beck, 2016.

 
 
 

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